Deutschland: Welche Wahl treffen wir nach der Bundestagswahl?

Impulse Jobst Bittner

Nach der Bundestagswahl versuchen die Kommentatoren, das Ergebnis zu analysieren. Die meisten Stimmen – national und auch international – reagieren erschrocken auf einen offensichtlichen Rechtsruck, der durch Deutschland gegangen ist. Die rechtspopulistische Partei AfD wurde als drittstärkste Kraft ins deutsche Parlament gewählt. Wie werden Christen aus Kirchen und Gemeinden darauf reagieren?

Ich frage mich, warum Millionen Wähler aus der deutschen Bevölkerung einer Partei ihre Stimme gegeben haben, die rechtsextremes Gedankengut in ihren Reihen duldet und ihre Ansichten offensichtlich aus den finstersten Tiefen des Horrorkabinetts nationalsozialistischer Propaganda und völkischen Sendungsbewusstseins hervorgeholt hat. Der Vorsitzende der Partei, Alexander Gauland, rief in seiner Siegesrede nach dem Wahlerfolg: „Wir werden Angela Merkel jagen! Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“

Jüdische Organisationen haben entsetzt auf den Einzug der AfD in den Bundestag reagiert. Der Jüdische Weltkongress nannte das Ergebnis „abscheulich“. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, erwartet von den „demokratischen Kräften, dass sie das wahre Gesicht der AfD enthüllen“. Die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, nannte das Ergebnis einen „wahr gewordenen Alptraum“. Der Vorsitzende des Jüdischen Weltkongresses bezeichnete die AfD als „schändliche reaktionäre Bewegung, die an das Schlimmste in Deutschlands Vergangenheit erinnert“. Das Parteiprogramm der AfD zeigt, welchen Stellenwert sie Israel und jüdischem Leben gibt – nämlich gar keinen! Ihr Parteiprogramm ist das einzige einer in den Bundestag gewählten Partei, das das Existenzrecht Israels und die Verantwortung, sich Antisemitismus entgegenzustellen, mit keinem Wort erwähnt.

Wie also werden Christen aus Kirchen und Gemeinden in Deutschland darauf reagieren? Das Wort der Herrnhuter Losungen war am Tag der Wahl bezeichnenderweise: „Ich habe euch Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt, damit du das Leben erwählst und am Leben bleibst, du und deine Nachkommen“ (5. Mose 30, 19). Wir haben in Deutschland gewählt, aber die Wahl, die wir jetzt als Konsequenz daraus in der Verantwortung vor Gott treffen müssen, wird eine ungleich größere Bedeutung haben!

Ich mahnte in meinem Buch über die „Decke des Schweigens“, dass die Gespenster der nationalsozialistischen Vergangenheit wieder aufstehen würden, wenn wir jenseits der historischen Aufarbeitung nicht lernen, in unseren Kirchen und Gemeinden das Schweigen in den Familien zu Antisemitismus und Judenhass ernsthaft aufzuarbeiten und beim Namen zu nennen. Daraus entstand die Marsch des Lebens Bewegung, die allein in diesem Jahr in 60 Städten zehntausende Menschen mobilisieren konnte. Offensichtlich wurde die mahnende Stimme in Deutschland nicht genügend gehört. Was ist nach der Bundestagswahl unsere Wahl? Christen aus Kirchen und Gemeinden dürfen nicht schweigen!

  1. Es ist Zeit, mahnend die Stimme gegen jede Form von Rechtsextremismus, Judenhass und Antisemitismus zu erheben und ebenso auch gegen jeden Versuch, Minderheiten rassistisch auszugrenzen.
  2. Es ist Zeit, mit größter Intensität in unseren Kirchen und Gemeinden revisionistischer Geschichtsverfälschung und dem Relativieren des Holocaust entgegenzutreten. Das kann nur geschehen, wenn wir bereit sind, der Aufarbeitung nationalsozialistischer Vergangenheit in unseren Familien und der Holocausterziehung den richtigen Stellenwert zu geben.
  3. Es ist mehr denn je an der Zeit, für das Existenzrecht Israels und gegen jede Form des Antisemitismus auf die Straße zu gehen. Sind wir dazu nicht bereit, werden wir die braunen Massen wieder marschieren sehen. Wenn die Kirchen und Gemeinden nicht verstehen, dass theologische Streitigkeiten und dogmatische Spitzfindigkeiten in dieser Frage nicht mehr sind als ein Deckmantel, um die Stimme nicht erheben zu müssen, haben wir aus der Geschichte nichts gelernt.

Welche Wahl treffen wir nach der Bundestagswahl? Wir brauchen in jeder Kirche und Gemeinde, in jeder Stadt und in jedem Ort Aufarbeitungsprogramme, Gebetsgruppen und Initiativgruppen, die ihre Stimme für Israel und gegen Antisemitismus erheben. Jeder Christ sollte dabei selbst aktiv werden und nicht auf die oft mühevolle Entscheidungsfindung eines Vorstands oder Gremiums warten. Die „Decke des Schweigens“ in dieser Zeit zu zerbrechen heißt, unsere Kirchen und Gemeinden zu mobilisieren, in jedem Jahr neu für einen „Marsch des Lebens“ für Israel und gegen jede Form der Rechtsradikalität, des Antisemitismus und Judenhasses auf die Straße zu gehen. Haben wir aus der Vergangenheit gelernt? Es ist Zeit, die Wahl nach der Bundestagswahl zu treffen und statt des Fluchs das Leben zu wählen.

Jobst Bittner ist der Initiator und Präsident der Marsch des Lebens Bewegung, die bisher in mehr als 350 Städten und 18 Nationen Menschen mobilisiert hat gegen jede Form von Rechtsextremismus, Antisemitismus und Judenhass und für Israel die Stimme öffentlich zu erheben und auf die Straße zu gehen (www.marschdeslebens.org).